Geschichte der Zeidler(ei)
Ein kleiner Überblick in leichter Sprache

Schon lange bevor der Mensch zum Imker wurde und Honigbienen in Holzkästen, sogenannten Magazinbeuten, als Nutztiere einfing, lebten Honigbienen wild im Wald. Die Schwärme bauten in Baumhöhlen ihre Waben, um darin Honig zu sammeln. Von diesem Honig konnten sie selbst und ihre Brut leben, auch über die Winterzeit, in der es draußen kalt ist und weder Blüten mit Nektar und Pollen noch andere Nahrung für die Bienen zu finden ist. Baumhöhlen, die sich hoch oben in den Bäumen befinden, sind besonders beliebte Wohnorte für die Bienen: dort ist es wärmer und trockener als unten am schattigen Boden und außerdem sicherer vor Feinden.

Zunächst begannen die Menschen, in die Bäume zu klettern, zu den Höhlen, in die sie von unten, vom Waldboden aus, hatten Honigbienen ein- und ausfliegen sehen. Sie holten sich von dem Honig der Bienen, denn die süße Leckerei war nicht nur bei Bären und anderen Waldtieren sehr beliebt. Auch das Wachs gewann immer mehr an Bedeutung, z.B. um Kerzen daraus herzustellen
Mit der Zeit kamen sie auf die Idee, mit geeigneten Werkzeugen Stammstücke auszuhöhlen und diese sogenannten Klotzbeuten in die Nähe ihrer Dörfer und Häuser zu stellen. Wenn im Frühjahr schwärmende Bienen in die Klotzbeuten einzogen, konnten die „Besitzer“ im Sommer und Herbst von dem Honig ernten, ohne klettern zu müssen.

Diese alte Handwerkskunst der Bienenhaltung wird Zeidlerei genannt, diejenigen, die sie beherrschen Zeidler. In den letzten Jahrhunderten ist diese Kunst bei uns ausgestorben, obwohl sie auch hier z.B. im Mittelalter weit verbreitet war. Heute lernen wir dieses Handwerk wieder neu kennen: von Naturparkmitarbeitern und Förstern aus Polen. Diese durften es vor ca. 15 Jahren bei Menschen in Baschkirien, im Ural, lernen, wo es nie ausgestorben war. Dort wurde das Handwerk von Generation zu Generation weitergegeben.
Entwicklung der Zeidler-Zeichen
Jeder Erbe, jeder Sohn, der das Handwerk vom Vater erlernt hatte, durfte das Familienzeichen, das am Fuß des Baumes oder der Klotzbeute eingeritzt wurde, um einen Strich erweitern, z.B. so:

Erläuterung der Abbildung

(1) Zeichen der Leute in Baschkirien -> daraus entwickelt sich das (2) Zeichen von Andrzej, der in Baschkirien gelernt hat: er setzt den eingekringelten senkrechten Strich daran. Mit diesem Zeichen markiert er nun seine eigenen Klotz- und Baumbeuten. (3) zeigt das Zeichen, das Andrzej uns hier weitergegeben hat: er hat das schon recht komplexe und komplizierte Zeichen, in dem jeder Strich einen Teil der baschkirischen Erben darstellt, auf einen Strich verkürzt. Das ist nun der kleine waagerechte Strich. Daran ist wieder sein senkrechter Strich gesetzt. Und daran kommt nun “unser Erbe-Strich”: schräg von unten nach oben. Dieses Zeichen haben wir 2019 in die dicke Klotzbeute geschnitzt, die im Garten von Drei Eichen steht. 
In den Folgejahren haben wir fleissig weitergearbeitet und vielen Menschen beigebracht, wie man Klotzbeuten baut. (4) zeigt das Zeichen an der Klotzbeute, die wir mit Jugendlichen - der nächsten Generation “neuer junger Zeidler” - gebaut und im Garten des Besucher-Informationszentrum des Naturparks, dem “Schweizer Haus” in Buckow, aufgestellt haben. Ihr Zeichen zeigt, dass sie in der Tradition von den Leuten aus Baschkirien (kleiner waagerechter Strich), von Andrzej (senkrechter Strich) und von den Leuten in Drei Eichen (schräger Strich) lernen und arbeiten.

Das jedenfalls ist Teil unserer Zukunftvision, dass es wieder aktive junge Menschen gibt, die das Zeidlerhandwerk ausführen können und wollen.

Ein wunderschöner Bildband von K. Hejke:
Zeidlerei - Naturnahe Honigbienenhaltung im Wald

Einst auch bei uns verbreitet, ist dieses traditionelle Handwerk heute fast ausgestorben. Prof. Krzysztof Hejke hat ein letztes europäisches Refugium der Zeidlerei entdeckt und dokumentiert: die Landschaft Podlesien und ihre Bewohner. Die von Gewässern, Sumpfland und Wäldern charakterisierte Region, die sich über Ostpolen, Ostlitauen, Ukraine und vor allem Weißrussland erstreckt ist abgelegen, eher dünn besiedelt und der Lebensstandard der Landbevölkerung sehr bescheiden und bis heute von den Rhythmen der Natur geprägt.

Hier hat sich diese besondere Beziehung von Mensch und Honigbiene erhalten. Die alten Zeidler nutzen seit Generationen vererbte Beuten, um den Bienen ein ihren Bedürfnissen angepasstes Zuhause zu geben: eine Höhlung hoch oben in der lichten, sonnendurchfluteten Krone alter Bäume. Solche Baumhöhlen werden entweder direkt im Baum in entsprechender Höhe angelegt (Baumbeute) oder aber in Stammstücken, die als Klotzbeuten in den Bäumen hängen. Traditionell nutzen die Zeidler Hanfseile und Sitzbretter, um ihre Arbeit in luftiger Höhe zu verrichten. Nur einmal im Jahr beerntet der Zeidler jedes Volk und gewinnt den wertvollen Honig. Sein Beruf und sein Können sind dafür seit alters her ebenfalls hochgeschätzt und angesehen.

Die Vorstellung, dass Bienen eine besondere Beziehung zum Menschen haben und daher das Töten von Bienen eine Sünde sei, ist bis heute in Teilen Podlesiens lebendig.
Das Zeidlerhandwerk vereinigt in sich hohe ethisch-moralische, physisch-professionelle, wertschöpfende und ökologisch-naturschutzrelevante Werte.

Dank der Bemühungen von Krzysztof Hejke, der polnischen Baum-Bienenhalter-Gesellschaft (Bractwo Bartne) und junger Enthusiasten, die sich der Wiederbelebung des alten Handwerks annehmen, fand die Zeidlerei Eingang in die polnische Liste des Weltkulturerbes und schließlich ihren Weg auch zu uns nach Deutschland. Vielen Dank an Alle, die ihr Wissen weitergeben. Möge das alte Zeidlerhandwerk einen erfolgreichen Weg in eine nachhaltige Zukunft weisen!
Das alte Wissen - zusammengetragen von A. Pazura und J. Adamczewski

Die Zeidlerei war einst auch bei uns zuhause

Scherben aus der Zeit von 7500 v. Chr. belegen die sehr frühe Verwendung von Bienenwachs sowohl in Österreich (Brunn) als auch in Bayern (Niederhummel, bei Freising) (Roffet-Salque et al 2015). Die Entdeckung von zwei frühen Steinzeitlern aus Tannenholz in der Nähe von ArbonBleiche III (Schweizer Bodenseeküste) weist darauf hin, dass dort bereits 3381 v. Chr. Baumimkerei betrieben wurde. In Berlin wurde ein bronzezeitlicher Bienenstock aus Eichenholz aus dem Jahr 1088 v. Chr. gefunden.

Später finden wir Hinweise auf Baumimker in alten Besitzurkunden (ab ca. 950 n. Chr. ). In diesen alten Dokumenten werden die slawischen Imker benannt, die eingeladen wurden, die Waldzeidlerei im Wald wohlhabender Gutsbesitzer zu lehren und zu etablieren. Im Laufe des Mittelalters entwickelte sich die Bienenzucht in verschiedenen Gebieten Deutschlands in Abhängigkeit von der vorhandenen Waldstruktur und je nach dem möglichen Wachs- und Honigertrag wurde sie zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Der Nürnberger Reichswald ist ein solches Beispiel einer durch ehemals ausgedehnte Kiefern-Birken-Eichen- sowie Buchen-Mischwälder begünstigten Region. Der Reichtum an Wildbienenschwärmen machte den Nürnberger Reichswald zum “Bienengarten des Heiligen Römischen Reiches”. Honig und Wachs waren begehrt und wertvoll, die Zeidler genossen besondere Rechte, das Zeidelgericht wachte über Holz- und Waldnutzung, Zollfreiheit im Honighandel, aber auch über Pflichten zur Waldpflege und die Abgabe des “Honiggeldes”. Im Honig aus dem Nürnberger Reichswald liegt der Ursprung der noch heute bekannten und beliebten Nürnberger Lebkuchen.

Das Wissen über die Baumimkerei ging jedoch immer mehr verloren, je mehr Honig durch Zucker ersetzt wurde, Bäume nur noch als Holzwert betrachtet, Wälder verkleinert und als Monokulturen aufgeforstet wurden und in langen Kriegszeiten Wissen im wahrsten Sinne ausstarb, nicht einmal mehr mündlich weitergegeben werden konnte.
Dieser Verlustprozess vollzog sich von Westen nach Osten. In Nürnberg wurde das letzte Gericht, das sich speziell mit der Baumimkerei befasste (Zeidelgericht) 1779 abgehalten. In der „Spandauer Heide“ bei Berlin legte der letzte Imker im Jahr 1550 seine Arbeit nieder. In der Literatur findet sich ein Bild des „letzten Baumimkers“ im heutigen polnischen Susz (ehemals Rosenberg/Westpreußen, südlich von Danzig) von 1930.

Mit der Zeit ging die Tradition der Baum-Imkerei verloren und war in der breiten Öffentlichkeit vergessen.

Ökologische Bedeutung

Die Veränderung der Wälder durch die starke Holznutzung, die Wiederaufforstung als Monokulturen bzw. das Fehlen alter, dicker Bäume mit Höhlen und einer großen Vielfalt an Mikro-Lebensräumen und Tier- und Pflanzenarten, hat diese heutigen Wälder für Bienen zunehmend unattraktiv und wertlos gemacht.

Gleichzeitig hat auch die Entwicklung der Imkerei, insbesondere die Durchführung von Zuchtarbeiten, um eine „ideale“ Biene zu erhalten - eine sanfte Biene mit geringer Schwarm Neigung und viel Honigproduktion - dazu geführt, dass unsere ursprüngliche heimische mitteleuropäische Biene völlig unattraktiv ist.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts, nach Jahren der Abwesenheit, wurde nun die Rückkehr der Bienen in ihre natürliche Umwelt in den europäischen Wäldern möglich. Wir können wieder Bienen beobachten, die Baumhöhlen und Baumstämme bewohnen, die von Menschen hergestellt wurden.

Die Wiedereinführung und Förderung von Bienenpopulationen, die nur einen minimalen Kontakt mit Chemikalien, Medikamenten und anderen zivilisatorischen Bedrohungen haben und gleichzeitig im Einklang mit ihrer eigenen biologischen Uhr leben, ist nicht einfach. Aber es ist einen Versuch wert!

Zehn Jahre Erfahrung in der Wiederherstellung der Baumimkerei führen zu der Schlussfolgerung, dass nach 100 Jahren Pause die schöne und lebendige Tradition der Baumimkerei dauerhaft in die polnischen Wälder zurückgekehrt ist und gute Chancen hat, in die Länder westlich von Polen zurückzukehren.

Praktisch mit Bienen im Wald oder auf anderen Flächen in Deutschland zu arbeiten, bringt einige Schwierigkeiten mit sich, die in naher Zukunft gelöst werden müssen. Die Honigbiene Apis Mellifera ist ein deklariertes Nutztier in Deutschland. Es wird nicht als Wildtier betrachtet, und daher gelten bisher nur Rechte und Erklärungen für Nutztiere. Die Honigbiene ist durch kein Naturschutzgesetz geschützt.

Die Menschen, die sich für Bienen in Bäumen interessieren und mit ihnen arbeiten, nehmen die alte Tradition der Baumimkerei als Werkzeug wahr. Richtig eingesetzt, kann es dazu beitragen, die dringenden und existenziellen Probleme zu lösen, mit denen die Bienen derzeit konfrontiert sind. Sicherlich kann es nicht die einzige Lösung für alle Probleme sein, mit denen Bienen in unserer modernen Gesellschaft konfrontiert sind, aber wenn die alte Art der Bienenzucht dazu beitragen könnte, lebende Bienenvölker zu entwickeln, die sich an natürliche Gegebenheiten anpassen und natürliche Selektion erfahren können, können diese wieder wildlebenden Bienenvölker einen gesünderen und stärkeren Genpool bilden als ihre „Massentierhaltungs-Schwestern“.

Die Honigbiene als Bestäuber ist eine Flaggschiffart, die eine Reihe anderer Bestäuber, oder generell Insekten, repräsentiert, die alle das gleiche Leiden durch unsere menschlichen Aktivitäten wie die Intensivierung der Landwirtschaft und Waldbewirtschaftung, Pestizideinsatz usw. haben (Richards & Blaylock 2009).

Weitere vorteilhafte ökologische Aspekte betreffen auch die Biodiversität, die sich allein in der Baumhöhle, in der ein Bienenvolk lebt, herausbildet. Ein Bienenvolk in einer Baumhöhle lebt in einer einzigartigen Symbiose mit bis zu 3000 verschiedenen Insekten und Mikroorganismen zusammen! Hierzu gibt es spannende Forschungsarbeiten, die stetig neue Erkenntnisse versprechen.

Die Wiederentdeckung und Wiederbelebung der Zeidlerei
Die Baum-Imkerei im Nationalpark “SZULGAN. TASH”

Der Nationalpark “Szulgan Tash” befindet sich am östlichen Rand Europas, im europäischen Teil Russlands, im südlichen Ural-Gebirge in der Republik Baschkortostan (Baschkirien). 2012 wurde er unter dem Namen „Baschkir Ural“ in das UNESCO-Biosphärenreservat-Programm aufgenommen.

Szulgan-Tash ist ein einzigartiges Schutzgebiet für einheimische Wildbienen und Gebirgsökosysteme am Fuße des südlichen Urals. Seit jeher war es die lokale Bevölkerung, die sich um die Imkerei kümmerte. Mit der Einrichtung des Naturschutzgebietes wurden Imker, die über eigene Baumstämme verfügten, als Angestellte in Shulgan-Tash angeworben.

Damit war die einzigartige Möglichkeit geschaffen, das Wissen über die Baumimkerei vom Ural in die polnischen Wälder und von hier aus in andere europäische Länder zu transferieren. Das Wichtigste dabei waren die ungeschriebenen praktischen Fertigkeiten, die traditionell vom Vater auf den Sohn weitergegeben wurden. Die Wiederbelebung einer faszinierenden Tradition, die in Mittel- und Osteuropa einzigartig ist, sowie Vorteile für den Naturschutz und die Erhaltung der Natur. Die Baumimkerei kann, zumindest auf lokaler Ebene, die Wiederherstellung einer naturnahen Zusammensetzung der bestäubenden Insektengemeinschaft in kommerziell genutzten Wäldern und bewaldeten Nationalparks ermöglichen, indem Bienenvölker in den Wald zurückgeführt werden.

In den Jahren 2007-2008 initiierte der WWF ein Pilotprojekt zur Weitergabe des traditionellen Wissens über die Baumimkerei in Szulgan Tash. Die Ziele des gemeinsam mit der Ornithologischen Gesellschaft Mazowiecko-Swietokrzyskie durchgeführten Projektes waren die Herstellung beispielhafter Bienenstöcke in den Wäldern von Mittelpolen und Podlasie sowie die Ausbildung mehrerer polnischer Imker, damit sie umfassend ausgebildet und vorbereitet sind, sich um die Bienenstöcke zu kümmern und anderen, die an der Wiederbelebung der Baumimkerei interessiert sind, praktische Kenntnisse zu vermitteln.

Die Erfahrungen mit der Wiederbelebung der Imkerei in Polen stießen in anderen europäischen Ländern auf reges Interesse. Von 2014 bis 2017 führten polnische Imker, die von baschkirischen Meistern ausgebildet wurden, Zeidler-Workshops in der Schweiz, Deutschland und Belgien durch, bei denen mehrere Dutzend Menschen Grundkenntnisse der Baumimkerei erworben und wiederum an andere weitergegeben haben.